Episode 69 – Die unterbrochene Linie

Die Sonne stand schon hoch, als Jonas die zusammengefaltete Karte auf dem großen Stein am Seeufer ausbreitete. Der Wind war schwach, die Oberfläche des Sankelmarker Sees spiegelglatt. Mia, Finn und Lea standen dicht bei ihm, alle vier schauten auf die Linien, Markierungen und verblassten Hinweise, die sich wie eine vergessene Geschichte über das brüchige Papier zogen.
Alle bisher veröffentlichen Episoden
- Episode 72 – Heiko im Kiek In
- Episode 71 – Rückkehr an den Steg
- Episode 70 – Das Fenster im Dorf
- Episode 69 – Die unterbrochene Linie
- Episode 68 – Heiko und das Fenster
- Episode 67 – Die Notiz auf dem Umschlag
- Episode 66 – Jonas hat eine Vermutung
- Episode 65 – Die Geräusche im Flur
- Episode 64 – Stimmen im Flur
- Episode 63 – Der Staub vergangener Jahre
- Episode 62: Das Gleichgewicht
- Episode 61: Das Flüstern im Laub
- Episode 60: Das Zeichen am Ufer
- Die Spur der Falkenbergs
- Die verlorene Verbindung
- Das alte Versprechen
- Der verschwundene Gast
- Das erste Jahr im Seeblick
- Episode 58: Ein neuer Blick auf das Seeblick
- Episode 57: Ein Tag im Seeblick
- Episode 56: Ein stiller Beobachter
- Episode 55: Heiko entdeckt Sankelmark
- Episode 54: Ein leiser Wandel
- Episode 53: Die Ankunft der Familie Lenzen
- Episode 52: Das vergessene Gutshaus
- Episode 51: Die verborgenen Aufzeichnungen
- Episode 50: Verborgene Pfade
- Episode 49: Die Inschrift in der Kirche
- Episode 48: Die Reise nach Oeversee
- Episode 47: Das Echo der Glocke
- Episode 46: Die Glocke aus der Tiefe
- Episode 45: Die Fahrt ins Unbekannte
- Episode 44: Die Spur auf dem See
- Episode 43: Begegnungen in Oeversee
- Episode 42: Der Blick durch das Fernrohr
- Episode 41: Die Spur im Hafen
- Episode 40: Die Karte der Vergangenheit
- Episode 39: Das vergessene Ufer
- Episode 38: Der Kompass des Vergessens
- Episode 37: Der Fund am Morgen
- Episode 36: Die Botschaft aus der Tiefe
- Episode 35: Das Licht im Wasser
- Episode 34: Grenzen und Konsequenzen
- Episode 33: Das Echo des Sees
- Episode 32: Ein Tag in Sankelmark
- Episode 31: Das Geheimnis im Schilf
- Episode 30: Zwischen Alltag und Ungewissheit
- Was bisher geschah - was geschehen wird
- Episode 29: Das Grollen aus der Tiefe
- Episode 28: Das Echo aus der Tiefe
- Jonas und sein Geheimnis
- Episode 27: Ein spannender Alltag im Hotel Seeblick
- Episode 26: Schatten über dem See
- Episode 25: Das Grollen aus der Tiefe
- Episode 24: Die Warnung aus der Tiefe
- Episode 23: Anna und die Stimmen der Vergangenheit
- Zwischenerzählung: Anna und der Ruf des Seeblick
- Episode 22: Das verschwundene Zeichen
- Episode 21: Das Echo der Vergangenheit
- Was bisher geschah: Die Geheimnisse des Sankelmarker Sees
- Episode 20: Die Wächter des Sees
- Episode 19: Das Echo der Glocke
- Episode 18: Der Fremde und die Wahrheit im Nebel
- Episode 17: Das Rätsel der Kristalle
- Episode 16: Ein Rätsel im Dorf
- Episode 15: Ein lebhafter Tag im „Seeblick“
- Anna und die Stimmen der Vergangenheit
- Episode 14: Der verborgene Tunnel
- Episode 13: Verborgene Wahrheiten im Hotel
- Episode 12: Das Tagebuch des Fremden
- Episode 11: Die Spur im Nebel
- Was bisher geschah rund um den Sankelmarker See: Die Reise ins Unbekannte
- Episode 10: Der erste markierte Punkt
- Episode 9: Annas Sorgen und neue Pläne
- Tauche ein in die Geheimnisse des Sankelmarker Sees – per WhatsApp!
- Episode 8: Das verborgene Zimmer
- Episode 7: Die Akademie Sankelmark
- Episode 6: Die Lichter auf dem See
- Episode 5: Die Gravuren im Nebel
- Episode 4: Das verlorene Boot
- Episode 3: Symbole im Arnkielpark
- Episode 2: Das Kiek In und die ersten Geschichten
- Episode 1: Annas Neuanfang
- Das Bullauge der Zeit
„Hier“, sagte Jonas und tippte mit dem Finger auf eine durchgehende Linie, die vom alten Bootssteg hinter dem Hotel bis zum südlichen Waldrand führte. „Das ist der Weg, der in der Karte aus der Akademie als ‘Pfad des Gleichgewichts’ markiert war.“
„Aber das hier…“, Finn beugte sich näher, „… sieht aus, als ob der Pfad unterbrochen wurde.“
Mia nickte. „Vielleicht durch Erdrutsche. Oder jemand hat ihn absichtlich verschwinden lassen.“
Lea zog ihr Notizbuch aus der Jackentasche. „Opa Karl hat mal gesagt, es gab einen Weg, der die Punkte verbunden hat – die Orte, an denen man den See beobachten konnte. Er meinte, der Weg sei ‘gebrochen worden, um das Gleichgewicht zu stören’.“
Jonas sah sie an. „Und wann hat er das gesagt?“
„Kurz nach dem Glockenfund“, antwortete Lea leise. „Er hat es nicht erklärt. Nur gemeint, es sei nie repariert worden.“
Die vier sahen sich an. Dann rollten sie die Karte ein und gingen los – dem Pfad folgend, so gut sie ihn erkennen konnten.
Der erste Abschnitt war leicht: ein schmaler Trampelpfad führte durch niedrige Büsche, vorbei an einer moosbedeckten Bank, die offenbar seit Jahren niemand mehr benutzt hatte. Der Boden war fest, von Wurzeln durchzogen. An manchen Stellen entdeckten sie kleine eingravierte Zeichen in Steinen oder Baumrinde – Kreise, Pfeile, seltsame Linien.
„Das sind Wegmarkierungen“, murmelte Jonas. „Vielleicht von denen, die ihn früher genutzt haben.“
„Ritualpfade?“ fragte Finn. „Oder einfach ein alter Wanderweg?“
„Oder beides“, sagte Mia.
Nach etwa fünfhundert Metern änderte sich das Gelände. Der Weg verlor sich zwischen wuchernden Farnen und umgestürzten Baumstämmen. An einer Stelle war der Hang abgerutscht – vielleicht bei einem Unwetter, vielleicht durch Zeit und Vergessen.
„Hier müsste es weitergehen“, sagte Jonas, der erneut auf die Karte schaute.
Sie bahnten sich vorsichtig einen Weg, kletterten über Steine und unter tiefhängenden Ästen hindurch. Schließlich fanden sie einen halb überwucherten Stein mit einer eingelassenen Platte. Die Oberfläche war rissig, aber die Gravur war noch zu erkennen: drei ineinander verschlungene Kreise.
Lea kniete sich hin und fuhr mit dem Finger über das Symbol. „Es ist dasselbe wie auf dem Fensterrahmen.“
„Und auf der Glocke“, ergänzte Jonas.
„Dann war das hier ein Punkt des Gleichgewichts“, flüsterte Mia.
Finn trat einen Schritt zurück, betrachtete das Gelände. „Aber es geht nicht weiter.“
Alle vier standen einen Moment schweigend da. Der Wald war still. Kein Vogel, kein Wind.
Dann plötzlich: ein Windstoß – kühl, aus dem Nichts – wehte durch die Blätter. Die eingerollte Karte, die Mia neben dem Stein abgelegt hatte, entrollte sich, als hätte sie ein unsichtbarer Finger bewegt. Sie lag nun offen da – genau an der Stelle, an der der Pfad aufhörte.
„Das war kein Zufall“, sagte Jonas.
„Es war eine Einladung“, flüsterte Lea.
Sie beschlossen, den Pfad in beiden Richtungen vollständig zu dokumentieren. Jonas machte Fotos von jedem Stein, jeder Markierung. Mia zeichnete eine neue Karte – mit dem, was sie gefunden hatten. Finn prüfte mit dem Kompass, ob es magnetische Abweichungen gab. Und Lea trug jedes Symbol, das sie fanden, in ein kleines Heft ein, das sie „Balancebuch“ nannte.
Nach zwei Stunden kehrten sie zurück zum Seeufer. Die Sonne stand nun tiefer, das Licht wurde weicher. Auf dem Wasser spiegelten sich die ersten Spuren von Dämmerung.
„Was, wenn es noch mehr solcher Punkte gibt?“ fragte Mia.
„Dann bilden sie zusammen vielleicht etwas Größeres“, sagte Jonas.
„Ein Netz“, murmelte Finn. „Ein Energiefeld. Oder ein Schutzkreis.“
Lea sah zum See. „Vielleicht haben die Falkenbergs versucht, ihn wiederherzustellen. Und sind dabei… verschwunden.“
Niemand widersprach.
„Wir machen weiter“, sagte Jonas. „Aber langsam. Genau. Und gemeinsam.“
Sie vergruben den Stein mit der Markierung wieder leicht, um ihn zu schützen – als Zeichen des Respekts. Dann machten sie sich auf den Rückweg ins Dorf, wo das Licht in den Fenstern zu flackern begann und die Schatten länger wurden.
Und obwohl niemand etwas sagte, spürten alle vier, dass etwas erwacht war.
Nicht feindlich. Nicht freundlich.
Einfach: **alt.**
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